Gourmelin

Austern - Lieben oder lassen
Austern spalten selbst Gourmets. Doch tagesfrisch sind sie ein Genuss. Der Food-Experte Ralf Bos lebt Gourmet-Lebensmittel. So ist es kein Wunder, dass es ihm die Auster besonders angetan hat. Im Laufe hunderter Verkostungen hat er festgestellt, das es drei Arten von Gourmets gibt. 20% lieben sie, 40% mögen sie nicht und der Rest behauptet, er habe eine Eiweissallergie. Alles Quatsch, wie Ralf Bos weiß: “Die erste Gruppe hat vermutlich in der richtigen Jahreszeit eine Auster hoher Qualität probiert und weiß daher, wie gut sie schmecken können, die zweite Gruppe hat ihre Auster minderer Qualität höchst wahrscheinlich in einer Touristenfalle probiert und der Rest vermutlich Opfer der falschen Jahreszeit oder eines sparsamen Küchenchefs geworden.” Diese Gruppe hat dann schlicht eine leicht verdorbenen Auster zu sich genommen.
Wobei sich sofort die Frage stellt, wo die besten Austern denn herkommen. Die besten Austern kommen aus Normandie, die besten Austern stammen von den Prince Edward-Inseln in Kanada, die besten Austern… Kaum eine Austernregion, die nicht von sich behauptet, die besten Sorten dieser Muschel hervorzubringen. Austern gelten als die Delikatesse schlechthin. Feinschmecker lieben Austern, zahlen Spitzenpreise für ihre kulinarischen Qualitäten – und loben ihre gesundheitlichen Vorzüge. Die Edelmuscheln, frisch genossen, decken nicht nur knapp ein Viertel des täglichen Jodbedarfs, sie sind kalorienarm, reich an hochwertigem Eiweiß und die mit Abstand beste Quelle für Zink. Das Spurenelement ist unentbehrlich für zahlreiche Stoffwechselprozesse, es stärkt die Abwehrkräfte und könnte der Grund sein, warum Casanova gerüchteweise allmorgendlich 50 Austern zum Frühstück verspeiste: Zink regt nämlich nicht zuletzt die Produktion von Sexualhormonen an und hebt den Testosteronspiegel. Bei den Spurenelementen Selen und Kupfer liegen Austern zwar hinter vielen Meeresfischen, dennoch decken 100 g der Nobelmuschel immerhin knapp den Tagesbedarf eines Erwachsenen.
Zur Herbstzeit haben Austern Saison. Noch immer gilt die Regel, dass Austern in Monaten, die auf “R”enden, besonders köstlich sind. Neben den diversen Ursprungsländern unterscheiden sich Austern über die Art, wie sie vor dem Verkauf behandelt worden sind.
Huîtres de parc werden nicht in einem Klärbecken (franz.: claire) veredelt, sondern kommen direkt aus dem Austernpark in den Versand, während Fines de claire die Standardqualität bezeichnet. Sie haben dann mehrere Wochen lang in sauberen Klärbecken gelegen und haben einen reinen Geschmack. Sie schmecken salzig, immer auch etwas nach Zitrone und manchmal auch nach Seetang. Spéciales de claire haben noch länger in noch größeren Klärbecken gelegen.
Unter Kennern genießt die Belon-Auster einen besonderen Ruf. Diese europäische Austernart schmeckt nussiger und ist fleischiger als die meist verzehrte Felsenauster. Unter ihrem Markennamen wir nur eine Auster vermarket: Die Gillardeau – Sie gilt unter Kennern als absolute Auster der Extraklasse. Sie ist eine tiefe Auster und gehört zur Gattung der Portugaises. Ihre Qualitätsstufe ist „Special de Claires“. Drei-Sterne-Koch Christian Bau serviert in seinem Restaurant gerne Gillardeau No. 2 mit einem gewicht von ca. 100 g Fleisch pro Auster. Schon nach dem Öffnen zeigt sich der Unterschied zu anderen Austern, keine andere Edelmuschel ist so voll. Allerdings ist die Gillardeau nicht ´fett´, sondern besitzt einen sehr ausgeprägten Fleischkörper. Dies ist einer besonderen Alge zu verdanken, die an der französischen Atlantik Küste nur in einem Streifen zwischen La Rochelle und der Ile d`Oléron heimisch ist. Der auffällig feine Geschmack der Gillardeau ergibt sich durch das besonders sorgfältige Klären. “Das bedeutet konkret, daß diese Auster 48-50 mal aus dem Wasser genommen, gewendet, geklärt und aufs´Klappe halten hin trainiert wird”, wie Spezialitätenhändler Jan-Patrick Bradt weiss.
Grundsätzlich allerdings gilt: je frischer, desto besser. So unternimmt der Autor dieser Zeilen mehrmals im Jahr Ausflüge nach Whitstable, einem kleinen Fischerort in der englischen Grafschaft Kent. Dort direkt am Hafen des Nordseeortes bieten Fischer frische Rockoysters für knapp 80 Cent das Stück an. Zitronensaft oder gar Tabasco-Soße sollten jedoch dankbar abgelehnt werden. Beides zerstört den zarten Austerngeschmack völlig. Nur ab zund an eine Scheibe Weissbrot, um den Geschmack zwischen dem Genuss der Austern zu neutralisieren. Nach dem Öffnen sollte das oberflächliche sogenannte erste Wasser weggekippt werden und der Schließmuskel unter dem Fleisch von der Schale gelöst werden. Hierbei bildet sich das zweite Wasser, das mit der Auster verzehrt wird. Als Getränk bietet sich Weisswein oder ein Glas trockener Champagner an. Apropos: Von London aus erreichen Sie Whitstable in knapp einer Stunde.