Gourmelin

Tüftler in heimischem Terrain
Gerhard Wieser kann sein Heimatland auf dem Teller erklären.
Manche Zeitgenossen würden gewiss behaupten, Gerhard Wieser habe ein eigentümliches Verhältnis zum Begriff Arbeit. Von acht Uhr morgens bis spät in die Nacht steht der Südtiroler Koch tagaus tagein in der Küche des Hotel Castel in Tirol oberhalb Merans und leitet gleichzeitig zwei Restaurants: Nein, Arbeit sei das für ihn nicht, versichert er mit einem Lächeln im Gesicht: „Kochen ist für mich Leidenschaft, keine Arbeit. Was denn bitte schön, ist für ihn Arbeit? „Rasenmähen“, kommt es wie aus der Pistole geschossen, „das ist für mich Arbeit.“ Seit 21 Jahren arbeitet der in Rasen in Südtirol gebürtige nun schon im Hotel Castel, eine Zeitspanne, die Wieser viel kürzer erscheint: „Aber das liegt sicher daran, dass es in den ersten zehn Jahren einen anderen Besitzer gegeben habe, bevor die Familie Dobitsch das Hotel Castel übernommen haben“, erzählt der Koch.
APÉROHÄPPCHEN
Meerrettich-Mousse |Bauernspeck, KartoffelSchinkenpraline | Portweingelee, Trüffel-MayonnaiseRäucheraal |Gurken und Apfel
Mit den Dobitschs, früheren Stammgästen im Hotel, sei alles anders geworden. Nach der Übernahme ist alles noch besser geworden, es sei noch mehr auf Qualität geachtet worden. Auch das Gourmet-Restaurant, die Trenkerstube, ist erst mit dem neuen Besitzer verwirklicht worden: „Es hat sich alles sehr ins Positive gewendet“, erzählt Wieser, „die Familie Dobitsch eine neue Philosophie mit eingebracht und auch ein anderes Budget.“ Die komplette Gästeschicht habe gewechselt: „Das Ganze war wie ein Betriebswechsel.“ Gerhard Wieser ist nach wie vor völlig begeistert: „Ich kann mich hier total entfalten, aber das brauche ich auch, um kreativ zu gestalten. Ich habe hier völlig freie Hand.“AMUSE-BOUCHEMilchkalbsfilet und Kalbskopf |Salatmousse und Gänseleber Und diesen Vertrauensvorschuss zahlt der 45-jährige mehr als zurück. Der „Südtiroler aus Leidenschaft“, wie er sich selbst bezeichnet, ist für das gesamte Gastro-Angebot des Hauses verantwortlich. Vom Frühstück bis hin zum allabendlichen À-la-carte-Essen im Markt-Restaurant des Hotel Castel, trägt alles Wiesers Handschrift. Er ist mehr als die Trenkerstube, der Südtiroler ist der Gesamtverantwortliche für das gesamte Küchengeschehen im Castel. „Die gesamte Abendkühle eine saisonale Marktküche mit sehr viel Abwechslung, sehr hochwertig, ich möchte nicht in zwei Klassen kochen“, erläutert er sein Konzept.
SIZILIANISCHE LANGOUSTINOS | mit Avocado und Zitrone
Nach seiner Philosophie beginnt die Kunst des Kochens beim Einkauf, und so bestimmt das täglich frische Angebot die Speisekarte. Allerbeste Qualität ist ein Dogma in Wiesers Küche. Für ihn bleibt es eine wiederkehrende Herausforderung, den Eigengeschmack der einzelnen Produkte durch kreative Zubereitung noch zu verstärken. Für Wieser gilt die Devise: Das Erzeugen von Wohlbefinden heißt zugleich gesund kochen. So gilt seine Passion den Kräutern. Übrigens: Gäste dürfen dem Chef de Cuisine bei der Zubereitung des Abendmenüs gerne über die Schulter schauen. Dabei verrät er ihnen einige Geheimnisse, von der Kreation bis zur anregenden Präsentation.
KABELJAU | auf Cannellini Bohnen und Paprikasalami-Schaum
Gerhard Wieser startete seine Ausbildung zum Koch von 1983 bis 1986 in Südtirol. Schon früh hat er sich für die Küche als Arbeitsort entschieden: „Ich bin Koch geworden, weil ich Zuhause bei meiner Mutter, die Köchin ist, viel mitgeholfen habe und dabei gemerkt habe: Das liegt mir. Sie war meine erste Lehrmeisterin. Als kleiner Knirps band ich mir den Küchenschurz um und half tatkräftig mit.“ Nach der Ausbildung folgten mehrere Stationen im Ausland, darunter am Hotel Bayerischer Hof in München, am Grand Hotel Viktoria Jungfrau in Interlaken, und am Restaurant Giggeto inTrevisio. 1993 erhielt er den Meisterbrief als jüngster Küchenmeister Südtirols. Weitere Erfahrungen sammelte er bei einigen der besten Köche Deutschland, darunter bei Harald Wohlfahrt in der Schwarzwaldstuben, bei Dieter Müller im Schlosshotel Lerbach, bei Joachim Wissler im benachbarten Vendôme und bei Klaus Erfort im Gästehaus Erfort.
BROKKOLI-RAVIOLI | mit Lardo di Colonnata und frischen Mandeln
Nachdem die Dobitschs im Castel die Regie übernommen hatten, startete Gerhard Wiesers Reise in den Gourmethimmel. 2002 wurden die Trenkerstuben eröffnet, vier Jahre später zeichnete der Michelin ihn mit dem ersten Stern aus, eine olympische Periode später verliehen die Franzosen Wieser- den zweiten Macaron. Der dritte Stern ist allerdings nicht seine Hauptpriorität: „ich bin nicht der Sternejäger, ich suche aber dennoch die Bestätigung dessen, was ich gemacht habe.“ Wenn er allerdings kommen würde, wäre das für ihn eine weitere Würdigung seines Schaffens. Auf die hofft auch Patronin Evelyn Dobitsch und zeigt sich durchaus zuversichtlich: „Herr Wieser weiß sich von Jahr zu Jahr zu steigern.“ Heuer seien die Testesser schon mehrfach zu Gast gewesen. Kritik habe sie nicht ansatzweise gehört.
BRESSE POULARDE | mit Auberginen und Waldpilzen
Die Trenkerstube ist das Highlight, viel kommen wegen nur wegen Wieser ins Hotel Castel und übernachten dann auch her. „Das ist das Ziel, was man als Koch hat, da habe ich viele Jahre drauf hingearbeitet, ich habe meine eigene Philosophie aufgebaut, eigene Merkmale und eigenes Wissen eingebracht.“ Wiesers kulinarische Maxime lautet: Weniger ist mehr. Je einfach, desto besser. Er verbindet Traditionelles auf eine neue Art mit dem Modernen. Er selbst beschreibt seinen Küchenstil als Alpin–Mediterrane Küche kombiniert mit neuen Techniken und Garzeiten. Neue Kochtechniken versucht er weiter zu entwickeln: „Ich probiere alles aus, aber wichtig ist, es muss Sinn machen und es muss besser werden, es muss etwas bringen.“ Gerne beispielsweise testet Wieser Gerichte im Markt-Restaurant aus, entwickelt sie weiter, um sie dann später in der Trenkerstube einzusetzen. „Ich probiere viel aus und tüftle gerne, ich versuche die regionale Küche neu und weiter zu entwickeln, und die Gerichte leichter zu machen.“
ZWIEBEL-ROSTBRATEN | vom Rindsfilet, weiße Zwiebeln, dicke Bohnen und Kartoffelpüree
„Die wichtigsten Punkte sind für mich Klarheit, Genauigkeit und Geschmack des Gerichtes. Die Suche nach dem wahren Geschmack kommt vor der ästhetischen Präsentation und Schönheit des Gerichtes. Beides zusammen muss den Gast gefangen nehmen und begeistern“, und fügt hinzu: „Kochen muss im Wesentlichen immer aus Leidenschaft bestehen.“ Wieser gilt unter Kollegen und Fachjournalisten als Perfektionist, wie er selbst auch weiß: „Letztere betiteln mich auch schon mal als „Tüftler“, wobei ich das im positiven verstehe. Ich versuche stets meinen Schaffenshorizont zu erweitern, ohne mich dabei zu sehr auf einen kurzfristigen Trend, wie z.B. die Molekularküche zu fixieren.“
ÜBERRASCHUNGSEI | Holunderblüten-Granita
Regionalität hat bei Gerhard Wieser Priorität: „Eigentlich“, gibt er zu, „ist dieses Thema verbrannt, jeder Koch sagt, er würde so kochen. Bei mir ist da Ehrlichkeit drin, ich möchte die Produkte spüren und schmecken.“ Erdbeeren aus dem Martelltal werden morgens in der Kühle gepflückt und seien d abends frisch auf dem Teller. „Bei den regionalen Produkten hat sich sehr viel getan. Wir haben eine sehr klein strukturierte Landwirtschaft. Der Züchter von den Schweinen beispielsweise züchtet nur so viel wie er verarbeiten kann und möchte. Lamm, genauer gesagt das Brillenschaf beziehe ich aus dem Villnösstal, das gibt‘s aber erst im Herbst, momentan ist Wild-Saison, die fängt bei uns schon im Mai an.“ Daran müsse man sich in der Küche halten. „Ein frisches Reh aus der Region ist tausendmal besser als ein importiertes Wild.“ Er sei mit den saisonalen Produkten sehr zufrieden. Hier gäbe es viele kleine Bauern, die Zeit haben, und auf seine Wünsche eingingen. „ich fahre gerne eine klare Linie.“
TIRAMISÙ-SOUFFLÉ | mit Erdbeeren
Die Leidenschaft aber auch die Heimatverbundenheit sieht und schmeckt der Gourmet auch auf dem Teller. So präsentierte er im vergangenen Jahr auf dem Südtiroler Gourmettreffen Sterne, Schlösser, Almen, auf dem die fünf Sterne-Köche des Meraner Lands an einem Abend ein Fünf-Gänge-Menu servieren mit, mit Topfentörtchen mit Bratapfel und Butterkecks-Cremeeis das Land Südtirol als Nachtisch.
SCHOKOLADEN-BAUMSTAMM | mit Birnen und Pistazien di Bronte
Wieser, der diese Veranstaltungsreihe mit aus der Taufe gehoben hat, zeigt eine Gesamtverantwortung für die Südtiroler Küche. Das fängt bei den Almen an, „die sind die Basis“, sagt der Sternekoch, „die muss ich wieder motivieren, sich zu verbessern, denn wir sitzen alle im gleichen Boot. Die merken aber schnell, dass ich auch ein ganz normaler Koch bin und nehmen die Hilfen schnell und gerne an.“ Es geht weiter über Veranstaltungen wie Sterne, Schlösser, Almen, wo sich jeder Sternekoch der Region präsentieren kann, bis hin zur Ausbildung seiner Köche: „Du musst deinen Köchen das Essen lehren, das Kochen kommt dann von selbst.“ So unternimmt Wieser mit seinem Team in jedem Jahr einen Ausflug zu den besten Köchen der Welt, um zu sehen, was ist zur Zeit der Trend: „Ich suche extrem verschiedene Köche aus, damit meine Köche die ganze Vielfalt kennen lernen.“ Sie müssten lernen, zu essen und lernen, wie ein Gast sich fühlt: „Sie müssen die ganze Variationsbreite erleben und die Freude des Berufs spüren. Meine Köche müssen Mitarbeiter sein und im Team zusammen arbeiten.“
Menu Sommer 2013, TrenkerstubeSommelier: Sascha Ziese
Wieser, der einen Sohn hat und mit der Lebensgefährtin Karin Egebrecht zusammenlebt, ist nebenbei auch noch einer der erfolgreichsten Buchautoren Italiens. „Die Zeit, Kochbücher zu schreiben, habe ich allerdings nur, weil das Hotel Castel zwischen Mitte November und März geschlossen hat“, erläutert er. Mit 750.000 hat er mehr Kochbücher verkauft als die meisten seiner Sternekollegen. „In jedem südtiroler Haushalt steht mein Kochbuch“, erzählt er stolz. Ein sogenanntes kreatives Kochbuch möchte er nicht aschreiben. Wichtig sei ihm, das die Leute mit seinen Rezepten arbeiten würden. „Wir haben mal eine Aktion gemacht, das derjenige, der sein altes „So kocht Südtirol zurückbringt, ein neues Exemplar erhält. Da haben wir gemerkt, wie sehr die Leute mit dem Buch arbeiten. Da standen Notizen drin, da waren Zettel rein geklebt.“