Gourmelin

Genuss in Südtirol
In Südtirol vermischen sich die Kulturen auch beim Thema „Essen und Trinken“. Und gute Gastgeber waren die Norditaliener schon immer.
Wer seinen Blick bei einem Glas „Hugo“ von der traumhaften Terrasse des Hotels Miramonti über Meran hinaus schweifen lässt, der kann bis weit ins Ultental blicken. Dort, am Ende des Tals, liegt die Wiege der Südtiroler Gourmetküche. Hier, abgelegen von der touristischen Welt, kochte Giancarlo Godio. Der Piemonteser, vom Michelin von 1978 bis 1993 mit einem Stern ausgezeichnet, zog Gourmets und Prominente in diese luftige Einöde. Küchenlegende Eckart Witzigmann respektierte und schätzte den Kollegen, der des Häufigeren bei ihm zu Besuch war: „Er hatte eine eigene Kochphilosophie. Ihm ist es gelungen, neue feinschmeckerische Perspektiven zu eröffnen.“ Godio ist leider schon vor Jahren verstorben – umso lebendiger präsentiert sich dafür die Sterneküche Südtirols: Hier kochen mit Gerhard Wieser, Norbert Niederkofler und Andreas Obermarzoner alleine drei mit zwei Macarons ausgezeichnete Köche. Daneben kochen eine große Zahl von Ein-Sterne-Köchen wie Anna Matscher, Andreas Fenoglio, Alois Haller oder Jörg Trafoier, um nur einige zu nennen.
Hotels und Restaurants für Genießer gibt es in Südtirol zur Genüge. Das Niveau in Küche und Keller ist hoch und vielfach preisgekrönt. Hier mischen sich mediterrane Elemente mit der traditionell alpinen Küche. Der ideale Ort für einen Gourmeturlaub auf der Südseite der Alpen. Von den Weinkellern am Kalterersee bis zu den Sternerestaurants in den Dolomiten, eine Gourmetreise in Südtirol führt durch verschiedenste Landschaften. Die alpin-mediterrane Vielfalt der Südtiroler Küche nimmt sich das Beste aus zwei Welten. Dass die nördlichste Provinz Italiens – obwohl mit rund 500.000 Einwohnern ein kleines Land – kulinarisch so viel zu bieten hat, liegt zum einen an Geschick und Kreativität der Köche, zum anderen aber auch an den Zutaten, die zum größten Teil aus der Region stammen. Speck, Äpfel, Kastanien, Bergkräuter, Wildspezialitäten oder Käsedelikatessen dienen als Grundlage für eine authentische Küche und inspirieren zu modernen Interpretationen. Kurze Lieferwege sorgen für gleichbleibende Frische und Qualität.
Südtirol ist die Provinz Italiens mit den meisten Michelin-Sternen überhaupt. Die besten Weißweine Italiens kommen seit Jahren aus dem Eisacktal. Beim Thema Wein hat sich in den vergangenen Dekaden Etliches getan. Die klassische Traube der Region, der Vernatsch, hatte noch bis in die achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts den zweifelhaften Ruf „flüssiger Kopfschmerzen“. Heutzutage haben die Winzer zwischen Brenner und Etsch ihn in einen ambitionierten Tafelwein verwandelt. Mittlerweile gewinnt der Vernatsch sogar wieder Preise. Mit einem quantitativen Anteil von 0,7% an der gesamten Weinproduktion Italiens, räumt Südtirol insgesamt 7% der Auszeichnungen ab. Ein Erfolg, den keine andere Weinregion der Apenninhalbinsel verbuchen kann. Kellereien, wie Terlan, Baron di Pauli oder Nals-Margreid können Jahr für Jahr mit ihren Erzeugnissen bei den Weinkritikern überzeugen.
Gourmets und Weinkenner fühlen sich in Südtirol gleichermaßen zu Hause. Auch die Hotels und Gasthöfe steigern von Jahr zu Jahr ihre Bewertungen im Gault Millau und anderen Restaurantführern.
In Klausen in der Nähe von Brixen kocht der jüngste Star der Südtiroler Feinschmeckerküche. Der häufig ein wenig bärbeißige Gault Millau jedenfalls überschlägt sich : „Martin Obermarzoner ist auf dem besten Weg, einer der ganz großen Köche Südtirols, ja Italiens zu werden. Er vereint Kreativität und profunde Grundlagen der Kochkunst mit einer spielerischen Leichtigkeit, die in so jungen Jahren nur jemand umsetzen kann, dem das Talent zum Kochen in die sprichwörtliche Wiege gelegt wurde. Neider mögen sich vielleicht daran stoßen, dass sich das Platzangebot im Jasmin auf wenige Tische beschränkt und man sich schon bei der Reservierung für eines der beiden Menüs entscheiden muss. Für Genussmenschen ist das jedoch irrelevant.“
Trotz seiner mittlerweile 31 Jahre sieht Obermarzoner häufig wie ein Lehrling der großen Köche aus, doch dieser Eindruck täuscht ganz gewaltig. Der Klausener gilt als Aromenflüsterer. Er mischt die ungewöhnlichsten Aromen, und es scheint, als hätten diese schon immer zusammengehört. Er sagt dazu fast lapidar: „Ich bringe gerne Aromen und Produkte zusammen, das gefällt mir.“ Lachs mit Holunderblütensud etwa. Eine kross gebratene Rotbarbe mit Himbeeressig. Ein Sorbet aus Mozzarella und Kokos.
Maximal 25 Gäste können im «Gourmetabteil» – neben der ganz normalen Gaststube – speisen. Es erwartet sie entweder ein Überraschungsmenü oder ein Fischmenü. Das haben sie bereits bei der Reservation entscheiden müssen. Sonderwünsche können vorher angemeldet werden.
Das Konzept erinnert an Ferran Adrià, den Erfinder der Molekularküche. In der Tat schätzt Obermarzoner gewisse Aspekte der schon totgesagten Molekularküche. Und nach dem Motto, dass Totgesagte länger leben, lässt er bravourös ein paar molekulare Elemente in seine Gerichte einfließen. „Mehr wäre Show“, sagt er trocken. Und legt Wert darauf, festzuhalten, dass viele seiner Gerichte klassischen Ursprungs seien, „nur neu interpretiert“.
Neben Gerhard Wieser prägt vor allem Norbert Niederkofler die Südtiroler Hochküche. Beide gelten unter Fachleuten als Kandidaten auf den dritten Michelin-Stern. Niederkofler kocht im Restaurant St. Hubertus, Teil des Hotel & Spa Rosa Alpina in St. Kassian im Pustertal. Nach Lehrjahren in Deutschland, in der Schweiz, in den USA und Österreich lernte er in Deutschland bei Alfons Schuhbeck, Jörg Müller und Eckart Witzigman, in New York bei David Bouley. Das St. Hubertus existiert seit 1996. Damals wurde nur ein kleiner Teil der damaligen Pizzeria zu einem kleinen Restaurant unter seiner Leitung umfunktioniert. Im Jahr 2000 werden die Mühen mit einem Michelinstern belohnt. Im Jahr 2001 wird das Restaurant umgebaut, die Pizzeria muss dem Erfolg des Restaurants weichen und so entstand das heutige Restaurant.
Mit 19 Jahren hatte Niederkofler das heimische Ahrntal verlassen hat und damals war er sich sicher, nie mehr zurückzukommen. Doch dann zog es ihn doch wieder in die Heimat. „Eigentlich wollte ich nur ein paar Jahre bleiben”, gesteht er. „Ich habe Südtirol im Laufe der Zeit schätzen gelernt.” Das St. Hubertus ist ihm ans Herz gewachsen. Und was kommt nun? „Na, was soll kommen?”, fragt er, „Ich arbeite auf den dritten hin.”
Das Geheimnis seiner Küche sei, dass sie klar, zurückgefahren und auf die Qualität bedacht ist. „An erster Stelle kommt für mich immer das Produkt. Erst an zweiter Stelle kommt der Koch.” Fisch oder Fleisch, eine Beilage und eine passende Soße, das war’s auch schon. „Reduktion aufs Wesentliche”, nennt er das. Und das hat sich seit drei Jahren sogar nochmals verstärkt. „Ich glaube, die Linie im Restaurant ist noch klarer geworden”, sagt Niederkofler. Etwa die Hälfte der Produkte, die es in die Rosa-Alpina-Küche zu den 22 Mitarbeitern schaffen, kommt aus der Region. Von einer Käserei im Ort, einem Kräuterbauern in Brixen oder einem Metzger in Zwischenwasser. „Wenn ich hier den Menschen ins Gesicht schaue, dann weiß ich genau, was sie verkaufen”, sagt Niederkofler. Und natürlich kommt in St. Kassian immer auch der tagtägliche Einfluss der Dolomiten dazu: das Quellwasser, die Höhenluft, die Atmosphäre.
Das Thema Regionalität ist für Jörg Traifoier fast schon ein alter Hut. 25 Jahre lang arbeitet er mittlerweile mit Frau Sonya im Restaurant Kuppelrain in Kastellbell im Vintschgau. Seit 2001 zeichnet ihn der Guide Michelin mit einem Stern aus, zu wenig wie viele Gastro-Kritiker und Gäste des Hauses meinen. „Vor 25 Jahren sind wir ausgelacht worden“, erzählt Traifoier: „Keiner hat an uns und die Art, wie wir kochen geglaubt.“ Dabei lag und liegt das Gute schon immer schon so nahe. Blumen und Kräuter wachsen in Gärten von Freunden und Bekannten, vieles wächst auch rund um das umgebaute ehemalige Bahnhofsgebäude. Jörg gerät ins Schwärmen, wenn er von der Vielfalt der frischen Produkte des Vintschgaus erzählt: „Rechts im Tal wächst die Marille, links im Tal die Äpfel und der Wein. Das ganze angrenzende Martelltal riecht zu Zeit nach Erdbeeren.“ Mit Hilfe von Nachbarn, dem Bruder und vielen Bekannten – seinem persönlichen Netzwerk – gelingt es ihm, außergewöhnliche Produkte für seine Küche zu erhalten. Den Speck erhalten Trafoiers beispielsweise von einem kleinen Almbauer, der pro Jahr nur acht bis zehn Schweine großzieht, die alle zwischen Mitte Dezember und Ende Januar geschlachtet werden. Die Tiere werden mit Heu vom Obervintschgau gefüttert, das Fleisch hinterher mit Wacholder geräuchert und luftgetrocknet. Über einen Schwager bezieht er bestes Ochsenfleisch. Käse und Milch kommen von Almen aus dem Tal. „Das alles funktioniert aber nur, wenn alle mithelfen und mitziehen.“ All seine Kleinproduzenten und Lieferanten laden Jörg und Sonya ein bis zwei Mal pro Jahr zum Essen ein - als Dankeschön für die Arbeit des Jahres. Und auch das Nachfolgefrage ist bei der sympathischen Familie aus Kastellbell gelöst: Jüngst haben Sohn Kevin, ein gelernter Koch, und Tochter Nathalie, einer Konditorin, unterschrieben, das Restaurant einmal fortzuführen.
Unter Nachwuchsproblemen leidet die Südtiroler Hochküche weiß Gott nicht. Ob Andreas Fenoglio, Alois Haller oder Anna Matscher, ob Karl Baumgartner, Arturo Spicocchi, Heinrich Schneider, Wolfgang Kerschbaumer , Peter Girtler, Herbert Hintner oder Burkard Bacher – die Liste der Südtiroler Sterneköche nimmt keine Ende. Und im vergangenen Jahr kamen mit Fabio Cucchelli, Markus Baumgartner und Felice Lo Basso drei weitere Köche hinzu.
Godio wäre sicherlich stolz auf seine Nachfolger, arbeiten sie doch heute noch wie der quirlige Italiener – mit Disziplin und Respekt vor der Natur, die hochwertigen und gewachsenen Produkte der Umgebung nutzend.